Die kleinen aalähnlichen Conodonten durchstreiften die Ozeane rund 300 Millionen Jahre lang. Diese Ur-Räuber waren die ersten Wirbeltiere, die Fleisch beißen und zerschneiden konnten. Dafür entwickelten sie winzige zahnähnliche Strukturen - eine evolutionäre Innovation, die zur Entwicklung komplexer mariner Nahrungsnetze führte.
In einer in Nature Communications veröffentlichten Studie konnte nun ein internationales Forschungsteam unter Beteiligung von Forscher*innen der Universität Wien - Isabella Leonhard vom Institut für Paläontologie und Michel Bestmann vom Institut für Geologie - zeigen, dass die Beißerchen der Conodonten im Laufe der Evolution immer zahnähnlicher wurden: konkret immer härter und schärfer. "Wie wir in unserer Studie zeigen konnten, traten Härte und Schärfe nicht plötzlich auf, sondern entstanden durch eine schrittweise Verbesserung der inneren Struktur der Zähne", erklärt die Paläontologin Isabella Leonhard. "Diese evolutionären Anpassungen konnten wir mit Hilfe von Mikrostruktur-Analyseverfahren nachweisen."
Erforschung der Evolution von Wirbeltieren anhand fossiler Zähne
Conodonten waren kleine, aalähnliche Tiere, die ab dem Kambrium (vor rund 540 Millionen Jahren) in marinen Ökosystemen vorkamen; mit dem Massenaussterben an der Trias-Jura-Grenze (vor 201 Millionen Jahren) jedoch ausstarben. Ihre fossilen Überreste bestehen fast ausschließlich aus mikroskopisch kleinen mineralischen Zähnen. Diese Zähne - die ersten harten Wirbeltierfossilien, die im Fossilbericht auftauchen - traten in einer enormen Formenvielfalt auf: von Kegeln bis hin zu komplexen platten- und blattartigen Formen (siehe Abbildung). „Diese Formenvielfalt spiegelt auch ein breites Spektrum an Ernährungsstrategien wider - von der Filtration und Aasfressern bis hin zum Raubtier“, sagt Emilia Jarochowska, die Projektleiterin von der Universität Utrecht.
Mineralisierung der ersten Raubtierzähne
Die Evolution dieser großen Vielfalt war Thema einer Studie von Bryan Shirley, damals Postdoktorand an der Universität Utrecht. Gemeinsam mit der Projektleiterin Emilia Jarochowska und in Zusammenarbeit mit einem internationalen Forscherteam von der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen, der Universität Wien, der Universität Warschau, der Universität Oxford und dem US Geological Survey machte er sich daran, eine alte Hypothese zu überprüfen, derzufolge sich die innere Kristallstruktur von Conodontenzähnen durch Anpassung an die Belastung beim Beißen und Schneiden entwickelt hat und durch Veränderung der Kristallorientierungen bruchfester geworden ist.
Das Team arbeitete mit Expert*innen der Materialwissenschaften zusammen und setzte unter anderem die Elektronenrückstreubeugung und Raman-Spektrometrie ein, um die Feinstruktur von Conodontenzähnen zu analysieren. In Zusammenarbeit mit Forscher*innen in den USA, Polen, Italien und dem Vereinigten Königreich wurde dabei Conodontenzähne verschiedenster Formen, Ernährungsstrategien und Evolutionsstufen in Bezug auf die Anordnung der mikroskopischen Kristalle in den Conodontenzähnen untersucht.
Frühe Zähne anfälliger für Brüche
Dabei zeigte sich, dass die Kristalle bei den frühen Zähnen schlecht organisiert waren und daher anfälliger für Brüche. Im Gegensatz dazu weisen die fortgeschritteneren komplexen Conodonten hoch organisierte Kristallstrukturen auf, was ihre Zähne wesentlich bruchfester macht.
„Die Ergebnisse zeigten, dass sich die Kristalle zunehmend in die Richtung ausrichteten, in der sie der Beanspruchung beim Zubeißen standhalten - ein Vorteil für das Ergreifen der Beute“, erklärt Emilia Jarochowska: „Wir konnten also nachweisen, dass frühe Wirbeltiere zunehmend die Kontrolle über die Entwicklung ihres Skeletts erlangten - und das ermöglichte eine vielfältigere Evolution sowie effektive Zahnformen und -funktionen.“
„Obwohl die Conodonten über einen Zeitraum von 300 Millionen Jahren überall in den Meeresfelsen zu finden sind, wissen wir nur wenig darüber, wie sie sich ernährten oder was sie dazu veranlasste, eine so verwirrende Vielfalt an Formen ihres Fressapparates zu entwickeln“, erklärt Duncan Murdock vom Naturhistorischen Museum der Universität Oxford. „Unsere Studie nutzte die innere Struktur der Elemente selbst, um diese Rätsel zu entschlüsseln.“
Publikation
Bryan Shirley, Isabella Leonhard, Duncan J. E. Murdock, John Repetski, Przemysław Świś, Michel Bestmann, Pat Trimby, Markus Ohl, Oliver Plümper, Helen E. King & Emilia Jarochowska (2024): Increasing control over biomineralization in conodont evolution. In: Nature Communications 15, 5273. https://doi.org/10.1038/s41467-024-49526-0https://doi.org/10.1038/s41467-024-49526-0